Zehn Jahre „Wir schaffen das“: Gelang die Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt?
2015 flüchteten über eine Million Menschen nach Deutschland. Ein Rekord. Wanderten sie in den Arbeitsmarkt ein, um den Fachkräftemangel zu lindern – oder, wie oft behauptet, ins Sozialsystem? Alieren Renkliöz hat sich umgehört.
Alieren Renkliöz war viel unterwegs
Neben dem Stop bei uns in Neustadt mit Statements von Ulrich Temps, Klaus Birkenhagen, Sadique Gibriel, Ayham Abu Qutoun und Bakary Kassama sprach er unter anderem mit dem bayrischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU), Antje von Dewitz – Geschäftsleiterin bei vaude – und Nabil Alnaji, der 2015 als 15-jähriger nach Deutschland kam.
Wer wartet, wartet lange! – Hier sein Beitrag über uns in „der Freitag“:
In Neustadt am Rübenberge, im Norden Deutschlands, hat das Malereiunternehmen Temps seit 2019 rund 50 Azubis mit Fluchthintergrund integriert. „Wir sind im Januar 2016 mit unserem Ausbildungszentrum hier startklar gewesen und haben schon im Frühjahr ganze Klassenverbände von jungen geflüchteten Menschen hier aufgenommen“, erzählt der Geschäftsführer Ulrich Temps.
Im Februar sprach er auf Demokratie-Demonstrationen. Die Grenzkontrollen, die Innenminister Alexander Dobrindt im Frühjahr einführte, machen ihn fassungslos: „Ich könnte an den Wänden hochgehen. Die haben keine Strategie, das ist blanker Aktionismus. Wenn die verantwortlichen Politiker langfristig denken würden, würden sie begreifen, dass man mit der restriktiven Migrationspolitik das Land gegen die Wand fahren wird.“
Temps kritisiert auch die mangelnde Kontinuität staatlicher Förderprojekte. Die meisten dauerten maximal zwei Jahre an, so schnell wechselten dann auch die zuständigen Personen. Ein langfristiger Aufbau von Know-how werde so erschwert.
In seinem Unternehmen hätte man gute Erfahrungen damit gemacht, zusätzlichen Sprachunterricht anzubieten. Hierfür stellte er betriebsintern drei pensionierte Gymnasiallehrer an, die als Berater und Nachhilfelehrer die Azubis unterstützen. Vor allem ginge es darum, dass die Azubis die Berufsschule schaffen. Arbeiterinnen, die im Betriebsalltag gut mitarbeiten können, scheitern oft an den sehr umfangreichen Herausforderungen der Berufsschule. Er findet, dass die Berufsschulen vernachlässigt würden: „Da müssen viel mehr Ressourcen rein.“
Und hier unser Beitrag in der „Le Monde Diplomatique“:
Schon 2016 gründete die DIHK das Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge (NUiF). Damals stand für viele Betriebe vor allem diese Frage im Raum: „Dürfen wir den Kandidaten überhaupt einstellen?“, berichtet Marlene Thiele vom NUiF. Mittlerweile sind in dem Netzwerk mehr als 4.600 Firmen organisiert. Der Informationsaustausch zwischen großen und kleinen Betrieben sei wichtig gewesen, so Thiele. Die großen hätten mehr Ressourcen und häufig eine eigene Rechtsabteilung. Kleinere Unternehmen seien wiederum beweglicher und könnten schneller neue Konzepte ausprobieren. Ulrich Temps blickt auf den Betonrohbau in seinem Geburtsort Neustadt am Rübenberge, die neue Firmenzentrale für seinen Malerbetrieb. Bald werde er die Leitung abgeben: „Ein potenzieller Nachfolger wird schon auf den Job vorbereitet“, sagt er. Auch sonst denkt er viel an die Zukunft. Rund 50 Azubis mit Fluchthintergrund haben seit 2019 in seiner Firma eine Ausbildung gemacht; dagegen seien immer weniger junge Leute, die in Deutschland aufgewachsen sind, noch bereit, körperliche Arbeit zu verrichten, sagt Temps.
Die Zahl der Auszubildenden lag in der Gesamtrepublik 2010 bei 1,5 Millionen, 2023 war sie auf 1,2 Millionen gefallen. Vor allem junge Deutsche machen immer seltener eine Ausbildung, bei ausländischen Staatsangehörigen hingegen stieg die Zahl der Azubis zwischen 2015 und 2023 um 54 Prozent. Als er die Entscheidung traf, gezielt Geflüchtete einzustellen, habe er zuallererst seine Belegschaft überzeugen müssen, erzählt Temps. „Warum holen wir uns diesen Flüchtling in den Betrieb?“, habe sich einer beschwert. Daraufhin habe er eine Versammlung einberufen: „In zehn Jahren sind circa 15 Prozent von euch im Ruhestand. Wenn wir nicht genug neue Mitarbeiter einstellen, wird das Unternehmen schrumpfen, und dann müssen wir Mitarbeiter in der Verwaltung entlassen“ – ein schlagendes Argument. So würde er es am liebsten auch mit dem Rest des Landes machen: „Man muss die Leute überzeugen, dass Migration erforderlich ist. Dann muss man die richtigen Wege finden und entwickeln.“
Ein Industrieparklatz in Hannover: Zwei Mitarbeiter der Firma temps stehen in ihren weißen Maleranzügen auf einem Gerüst. Ausgestattet mit Rollpinseln, malen sie ein Logo auf die Fassade. Dieter (Name geändert) blickt nach oben zu seinen Kollegen und erzählt, dass es schon mal zu Reibungen komme, wenn jemand die Sprache nicht richtig spreche. „Dann kannst du halt nicht einfach hier unten stehen und sagen, dass was weiter nach links muss oder dass der Finger da nicht richtig ist.“ In solchen Situationen müsse er oft Dinge wiederholen, manchmal auch selbst hoch, um es vorzumachen. „Dann fragt sich der Chef, warum etwas noch nicht fertig ist.“ Guter Wille lässt Probleme nicht verschwinden, doch er schafft Raum, um an ihnen zu arbeiten.
Wie sieht die Integration im Malereibetrieb temps konkret aus? Wichtige Stütze ist das Programm „Ausbildung Plus“, womit migrantische Auszubildende auf dem Weg zum Facharbeiterabschluss begleitet werden. In allen drei Lehrjahren besuchen sie neben der Berufsschule einmal pro Woche das betriebsinterne Schulungszentrum. Um eine Ausbildung zu beginnen, sind ein Schulabschluss und Deutschkenntnisse keine zwingenden Voraussetzungen, stattdessen werden Azubis mit geringen Deutschkenntnissen für den betriebsinternen Sprachkurs freigestellt. Unterrichtet werden sie von pensionierten Lehrer:innen. Erhebungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zeigen, dass solche Berufssprachkurse die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung wahrscheinlicher machen.
Die gesamten Berichte finden Sie hier:
Le Monde Diplomatique: https://www.temps.de/wp-content/uploads/2025/09/20250911_Le_Monde_Diplomatique-1.pdf
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